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Jahr: 2015

/ Ausgabe: 05-Protokoll_21.05.2015_gsw.pdf

- S.7

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- 304 -

Und meine kleine Mutter bekommt ihr rotes
Zorngesicht und gibt ihrem großen, kleinen
Bruder eine Ohrfeige. [...]
Was "durch den Rauchfang gehen" zu bedeuten hat, war mir natürlich nicht klar, nur,
dass es etwas schrecklich Böses sein
musste. Und von dem Tag an war mir auch
klar, dass der Herr FischI durch den Rauchfang gegangen ist.
Der Herr FischI hatte bei uns in der Gasse
eine Schusterwerkstatt gehabt [...]. Im
Jahr 38, kurz nach dem "Anschluss", sah
meine Mutter [...] eine grausige Szene: SAMänner hatten den Herrn FischI aus dem
Laden geholt und zwangen ihn, mit einer
Zahnbürste drei weiße Pfeile, die RegimeGegner aufs Pflaster gepinselt hatten, weg
zu schrubben. Auf der Straße parkte ein
LKW [...] und um den knienden Herrn FischI
rum standen Nachbarn und schauten belustigt zu.
Meine Mutter ging klopfenden Herzens auf
der gegenüber liegenden Straßenseite vorbei. Später hörte sie, dass der Herr FischI
schließlich mit dem LKW abtransportiert
worden war.
Ein paar Tage danach übernahm ein
"arischer" Schuster Werkstatt und Wohnung
vom Herrn Fischl. Und vom Herrn Fischl redete niemand mehr. Außer meiner Mutter!
Sie erzählte mir und meiner Schwester immer wieder, was dem Herrn Fischl angetan
worden war. Sie kam nicht damit zurecht,
dass sie nicht eingegriffen hatte, und rechtfertigte sich jedes Mal vor sich selbst mit der
Erklärung: "Hätt ich euch Kinder nicht daheim gehabt, wär ich rüber und hätt die Bagage vertrieben!"
In dem Alter, in dem ich damals war, muss
man seine Mutter, noch dazu, wenn der Vater schon lange weit weg in Russland ist, für
groß und stark, also für mächtig halten. Und
dass sich Erwachsene manchmal selbst belügen, wusste ich noch nicht.
Also war ich der Überzeugung, meine Mutter hätte den Herrn Fischl gerettet, hätte es
mich nicht gegeben [...]. Das unsinnige
Schuldgefühl schwand erst, als ich merkte,
dass meine Mutter weder stark noch mächtig, sondern klein und ziemlich hilflos war
und gegen "die Bagage" nichts ausgerichtet
hätte.
GR-Sitzung 21.05.2015

Frei von Schuld zu sein, heißt aber nicht,
frei von Verantwortung zu sein!
Viele Menschen sind dieser Verantwortung
gerecht geworden und haben als "Zeitzeugen" den nachfolgenden Generationen
zu erzählen versucht, wohin Rassismus geführt hat, oder sich laut zu Wort gemeldet,
wenn wieder gegen Minderheiten Stimmung
gemacht wurde.
Leicht gemacht hat man ihnen das nicht
immer. Vielen waren sie einfach zu unbequem. Sie störten beim Vergessen, beim
Behaupten, völlig ahnungslos gewesen zu
sein, beim Beklagen dessen, was man
selbst im Krieg erlitten und verloren hatte,
und vor allem beim selbstzufriedenen "Neuanfang"."
Das war die Hauptrede von Christine Nöstlinger.
Es waren auch die vier ZeitzeugInnen, Lucia Heilmann, Susanne-Lucienne Rabinowitci (da darf ich anschließend noch etwas
dazusagen), Rudolf Gelbard und Ari Rath,
anwesend, deren Zeugnis im Burgtheater
im Jahr 2013 als Bühnenstück, unter dem
Titel "Die letzten Zeugen", erstmals aufgeführt wurde.
Ich hatte in der Pause der Gedenkveranstaltung die Gelegenheit, mit Lucia Heilmann zu
sprechen. Zufällig war auch die Direktorin
des Burgtheaters, Karin Bergmann, anwesend.
Nachdem dieses Stück im Oktober in der
Stadt Salzburg gezeigt wird, bemühen wir
uns sehr, ob nicht noch ein Termin für eine
Aufführung in der Stadt Innsbruck angehängt werden könnte. Die Überlegung und
meine Gedanken dazu wären, dass mindestens 70 % Menschen im Alter unter
20 Jahren als BesucherInnen teilnehmen.
Das heißt, nicht das klassische Theaterpublikum, das vielleicht noch einen anderen
Zugang zu jener Zeit hat oder sie teilweise
noch selbst erlebt hat, soll teilnehmen. Es
sollen hauptsächlich Menschen unter den
BesucherInnen sein, für die diese Zeit unglaublich weit weg scheint.
Ich hoffe, dass wir das schaffen und dieses
Stück "Die letzten Zeugen" auch in der
Stadt Innsbruck aufführen können.