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Jahr: 2015

/ Ausgabe: 03-Protokoll_19.03.2015_gsw.pdf

- S.46

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es uns möglich ist (Sozialpolitik, Sozialarbeit, europäische Politik und vieles andere
mehr), etwas tun können, sollen bzw. müssen. Aber ein temporäres Bettelverbot in der
Stadt Innsbruck ist kein Signal an die europäische Politik oder wen auch immer, sondern ein Schlag gegen die direkt Betroffenen - die einfach arm sind und nichts anderes tun können als eben zu betteln. Weiters
glaube ich nicht, dass wir im Moment einen
wirklich zahlenmäßig und empirisch belegten, das örtliche Gemeinschaftsleben störenden Missstand haben.
Wir haben etwas, was vielen von uns nicht
gefällt. Die Anforderungen des VfGH in Bezug auf einen Missstand, der eine ortspolizeiliche Verordnung begründen kann, sind
etwas höher als das, was unsere Mag.Abt. II, Allgemeine Sicherheit und Veranstaltungen, in den Amtsbericht hineingeschrieben hat. Das ist in etlichen Erkenntnissen
nachzulesen. Weil ich eben zutiefst glaube,
dass das unverhältnismäßig ist und nicht
den Anforderungen der Verfassung und des
demokratischen Rechtsstaats entspricht,
lehne ich diese Verordnung ab und bitte alle
KollegInnen, sich das noch einmal durch
den Kopf gehen zu lassen und diesen Entwurf nicht zu beschließen.
Ein Signal, wohin auch immer, ist das sicher
nicht. Aber die Verordnung nicht zu beschließen, ist ein Signal, dass uns die Menschenrechte wichtiger sind als die Zufriedenheit der Innenstadt-Kaufleute.
GRin Moser: Ich möchte mit ein paar Sätzen
begründen, warum meine Entscheidung
heute für diese Verordnung fällt. Ich habe
mich sehr lange mit diesem Thema beschäftigt, habe mich eingelesen und mich in
der Stadt genau umgeschaut. GR Grünbacher, für mich ist diese Entscheidung keine
Frage der Haltung! Darüber können wir im
Anschluss dann noch gerne diskutieren.
Zu StR Mag. Fritz möchte ich sagen, dass
ich in dieser Stadt schon ein Problem sehe.
Natürlich ist Betteln eine Belästigung und
unangenehm. Wenn ich auf dem Gehsteig
ein Häufchen Elend sehe mit einem Zettel
davor "Habe Hunger und HIV", dann bin ich
die Erste, die ihr ganzes Wechselgeld und
mehr hergibt. Mir tun diese Menschen leid,
die da am Boden sitzen und mit sehr viel
unwürdigen Situationen konfrontiert werden.
Ich bin weltweit unterwegs und habe schon
GR-Sitzung 19.03.2015

sehr viel gesehen - Kinder, die mit kleinen
Plastikbüchsen vor Restaurants stehen und
um irgendetwas Essbares betteln. Ich habe
Menschen erlebt, die froh waren, eine
Handvoll Reis zu bekommen. Das, was bei
uns passiert ist, möchte ich dem gegenüberstellen. Auf der einen Seite geht es um
Menschen, die in ihrer Heimat ohne Bettelei
nicht überleben könnten - auf der anderen
Seite um eine organisierte Armutsmigration.
Es werden Menschen, die sich in ihren
Heimatländern keine wirtschaftliche Existenz aufbauen können, irgendwo anders
hingebracht, um sich ein paar Euros zu verdienen.
Es gibt drei Gründe, die mich dazu gebracht
haben, dieser Verordnung zuzustimmen: Ich
gehe sehr oft den Weg vom Landeskrankenhaus Innsbruck (LKH) - Universitätskliniken in die Innenstadt. Auf dieser Strecke ist regelmäßig eine vermeintlich alte
Frau am Boden gesessen und hat gebettelt.
Ich habe ihr immer wieder etwas gegeben.
Als ich einmal kein Kleingeld dabei hatte
und nichts gespendet habe, hat sie mich
wüst beschimpft und mit dem Stock auf
meine Beine geschlagen, so dass ich fast
zu Sturz gekommen bin. Später habe ich sie
noch einmal wiedergesehen. Dabei habe
ich ihr Gesicht genau betrachtet und bemerkt, dass sie eigentlich noch ganz jung
ist, sich aber auf alt schminkt. Man sieht das
wahre Alter gut an den Augen.
Wenn man die Hallerstraße entlang fährt,
dann bemerkt man in der Gegend vor dem
"Theater InnStanz" oft Kleinbusse mit osteuropäischen Kennzeichen. Sie parken dort
und lassen die BettlerInnen aussteigen,
damit sie in irgendwelche Quartiere gebracht werden.
Der dritte Beweggrund war für mich eine
Dokumentation im Fernsehen. Man hat die
Menschen, die von Osteuropa zu uns kommen, interviewt. Sie haben erzählt, dass ihr
Leben durchorganisiert ist. Sie müssen einen Teil ihres Erlöses abgeben und werden
Quartieren zugewiesen. Auch der zeitliche
Ablauf ist vorgegeben, sie bleiben entweder
eine oder zwei Wochen, dann fahren sie
wieder retour, um ihre Familien zu sehen.
Auf diese Weise sorgen sie für den Unterhalt.