Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2015
/ Ausgabe: 03-Protokoll_19.03.2015_gsw.pdf
- S.47
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Für mich ist diese Verordnung verfassungskonform, ich habe sie genau gelesen und
werde zustimmen.
GR Onay: Ich bin nicht so weit in der Welt
herumgekommen wie GRin Moser. Allerdings war ich einmal in Brasilien, in Rio de
Janeiro. Ich konnte meinen Urlaub nicht genießen, er war quasi vorbei. Mir sind die
Tränen gekommen, sobald ich diese Missstände gesehen habe. Wie viele BettlerInnen es dort gibt! Ganz schlimm ist es dann,
wenn die Menschen sogar zum Betteln
schon zu schwach sind. Das sind wirklich
ganz andere Verhältnisse, daher wundert es
mich, wenn wir hier in der Stadt Innsbruck
überhaupt von Missständen sprechen.
Offenbar nimmt aber jede/r für sich in Anspruch, die Definition von "Missstand" selbst
bestimmen zu können.
Für mich gibt es einen wirklichen Missstand
in dieser Diskussion - das ist der plumpe
Provinzialismus. Mir ist es ganz wichtig,
dass wir unsere Gesellschaft nicht nur als
eine auf die Stadt Innsbruck bezogene sehen. Wir sind EuropäerInnen und innerhalb
dieses Europas gibt es Reichtum und Armut. Auch Unternehmen können sich über
die Ländergrenzen hinweg hin und her bewegen. Oft hört man die Drohung, dass sie
sich in Rumänien ansiedeln wollen, wenn
man ihnen bei uns keine Steuererleichterungen gewährt. Dem vergleichbar müssen
wir uns auch mit der Armut in Europa auseinandersetzen.
Kapitalismus schafft Wohlstand für manche,
aber auch Armut. Dafür braucht man keine
Politik, das macht der Markt alleine. Die Politik benötigt man aber dann, wenn es darum geht, zu schauen, wie man das Ganze
regelt. Welche Impulse gibt man persönlich,
als Mensch, der sich politisch engagiert, um
für Menschen da zu sein, die eine gewisse
Regelung brauchen?
Stellen wir uns doch bitte folgende Frage:
Glauben wir wirklich, dass dieser Beschluss
im Endeffekt das oft skizzierte organisierte
Betteln unterbinden kann? Diese Bettelverbotsverordnung ist keine Maßnahme gegen
die Armut, die immer größer wird. Sie ist
vielmehr eine Maßnahme gegen die Armen.
Das muss man einmal festhalten. Für mich
gibt es in dieser Geschichte kein Gut und
kein Böse. Solche Kategorien gelten hier
nicht.
GR-Sitzung 19.03.2015
Ich bin nicht katholisch und mir geht es jetzt
auch nicht um die christlichen Werte, die in
meinen Augen in manchen Diskussionen da
und dort ein bisschen missbraucht werden.
Es ist nämlich schon arg, wenn man einerseits von christlichen Werten spricht, aber
andererseits nicht die Armut bekämpft, sondern die Armen. Dadurch, dass in Europa
auf der einen Seite der Wohlstand wächst,
gibt es eben auch BettlerInnen. Wir werden
das Problem nicht hier in der Stadt Innsbruck lösen können, sondern es muss auf
der europäischen Ebene angegangen werden. Eine Harmonisierung der Steuern wäre
zum Beispiel ein Lösungsansatz, oder auch
eine europaweite Sozialagenda.
Hier in der Stadt Innsbruck müssen wir uns
die Frage stellen, wie wir der Armut begegnen und dem Faktum, dass es BettlerInnen
gibt. Meine Haltung (es ist sehr wohl eine
Haltungsfrage!) ist die, dass wir in unserer
Stadt keinen Missstand vorliegen haben. Ich
habe viele InnsbruckerInnen auf meiner Seite, wenn ich sage, dass die InnenstadtKaufleute glauben, ihnen gehöre die ganze
Innenstadt. Sie denken, sie könnten darüber
bestimmen, was in der Innenstadt abgeht
und was nicht - ohne die AnrainerInnen gefragt zu haben.
Man sollte eigentlich Maßnahmen setzen,
um diese Menschen, die betteln müssen, zu
unterstützen, damit sie wieder ins Leben
hineinfinden. In diese Richtung müssen wir
Impulse geben.
Ich denke, wir sind alle einer Meinung, dass
wir den Menschenhandel aktiv bekämpfen
müssen. Es ist einfach dumm, wenn uns
Innsbrucker Grünen (GRÜNE) nun unterstellt wird, wir würden nichts gegen den
Menschenhandel unternehmen, weil wir gegen diese Verordnung stimmen. Jeder
Mensch, der ein bisschen ein Hirn hat, ist
wohl gegen diese Menschenausbeutung! In
dieser Verordnung wird allerdings das stille
Betteln in der Weihnachts- und Osterzeit
verboten. Das stille Betteln wird als Missstand dargestellt. Es kann aber kein Missstand sein, es ist nämlich ein Menschenrecht. Dahinter verbirgt sich das Recht auf
Existenz im öffentlichen Raum. Das wird
den Menschen in der Weihnachtszeit strittig
gemacht! Dagegen bin ich und da bekomme
ich wirklich Gänsehaut!