Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2020
/ Ausgabe: 06-Protokoll-16-07-2020_gswklein.pdf
- S.67
Suchen und Blättern in über 500 PDFs und 44.000 Seiten.
Gesamter Text dieser Seite:
- 496 -
Schwiegervater hat es in den 70er Jahren
noch Wohnbauförderungsdarlehen gegeben, die eine Laufzeit von 50 Jahren hatten.
Ein alleinverdienender Mann mit drei Kindern konnte eine Wohnung mit 110 m2 locker von einem Gehalt finanzieren. Die Kinder konnten durch die Schule und auch
noch durch die UNI gebracht werden. Das
war machbar.
Vor 15 Jahren konnten sich noch zwei AkademikerInnen - beide berufstätig - mit einem
Kredit mit einer Laufzeit von 30 Jahren, das
war so ziemlich das Maximum, was man bei
einer Bank bekommen hat, eine Eigentumswohnung auf dem frei finanzierten Markt in
der Stadt Innsbruck kaufen.
Ich beobachte diesen Markt und stelle fest,
dass wir nun an einem Punkt angelangt
sind, wo das nicht mehr geht. Es geht sich
einfach im Laufe der Berufstätigkeit nicht
mehr aus. Die Preise sind so hoch geworden, dass selbst wenn zwei Menschen studiert haben und überdurchschnittlich verdienen - das sind übrigens nur 17 % der ÖsterreicherInnen - , sie eine Dreizimmerwohnung nicht mehr abbezahlen können. Außer
sie haben irgendwo etwas geerbt oder es
kommt von irgendwo anders Geld herein.
Wir sind wirklich an dem Punkt angekommen, dass eine bestimmte Schicht in der
Stadt Innsbruck kein Geld mehr abtragen
kann. Nicht dass sie das Geld einfach sparen wollen. Das sind vor allem gut ausgebildete junge Menschen, die eine Familie
gründen möchten.
Politik ist nicht etwas Steifes, sondern Politik verändert sich. Unsere Aufgabe ist es,
für die Zeiten Lösungen zu finden, in denen
wir leben. Gerade vor Kurzem haben wir die
Pandemie und den Lockdown miterlebt.
Überlegt Euch bitte, was das für Menschen
heißt, die in Kurzarbeit gehen mussten oder
überhaupt ihre Arbeit oder ihre Existenzgrundlage als Selbständige verloren haben.
Mieten wurden durch politischen Druck gestundet. Gestundet heißt aber nicht, dass
nicht bezahlt werden muss. Kennt jemand
den Unterschied zwischen Miete zahlen und
Kredit zurückzahlen? Was passiert, wenn
ich verschuldet bin und ein Darlehen auf
30 Jahre bei der Bank habe, weil ich mir
eine Eigentumswohnung geschaffen habe?
Die Bank ist nicht daran interessiert, mich
aus dieser Wohnung zu werfen.
GR-Sitzung 16.07.2020
Ich kann locker eine dreimonatige Zahlungspause erreichen. Bei einer Pandemie
bin ich mir sicher, dass sogar sechs bis
zwölf Monate möglich sind. Es passiert gar
nichts und wird einfach hinten nach den
30 Jahren drangehängt. Viel Spaß wünsche
ich, wenn man eine Mietwohnung hat. Die
Miete wurde zwar durch politischen Druck
für drei Monate gestundet, aber nach drei
Monaten befindet man sich wieder in derselben Situation. Irgendwann muss bezahlt
werden. Wenn die/der VermieterIn gleichzeitig existenziell von diesem Geld abhängig ist, wird sie/er gezwungen sein, die/den
MieterIn aus der Wohnung zu werfen.
Ich frage mich, in welcher Art von Stadt wir
leben wollen. Ich möchte in einer Stadt leben, die bunt ist. In New York ist es so,
dass sich nur wirklich Reiche Wohnraum
leisten können. Ich möchte in einer Stadt leben, die durchmischt ist und in der alle
Schichten existieren können. Kinder von
besser situierten Familien sollen gemeinsam mit Kindern aus sozial schwächeren
Familien in die Schule gehen. Nur so erziehe ich eine neue Generation, die sich gegenseitig hilft. Es soll nicht so etwas wie
z. B. in Frankreich entstehen, wo Gruppen
in gewisse Gebiete verdrängt werden und
dort dann im Alter von 20 Jahren arbeitslos
sind und nicht mehr in die Gesellschaft integriert werden können.
Für mich heißt Politik auch, sich einmal etwas zu trauen und neue Wege zu gehen.
Es heißt ja nicht, nur weil wir dieses Konzept nun so beschließen, dass wir uns nicht
mehr engagieren können, damit sich auch
die rechtliche Grundlage ändert. Wir werden
weiterhin dafür kämpfen, dass wir die Preisbindung über die Erbschaft hinaus erreichen
können. Dafür können wir uns gemeinsam
mit anderen Städten und über den Städtebund einsetzen.
Wir als Gemeinde können keine Gesetze
beschließen, aber sehr wohl ParlamentarierInnen und Menschen, die in Landesregierungen sitzen. Das sind die, die tagtäglich
Gesetze ändern. Es ist nicht alles in Stein
gemeißelt, Gesetze kann man an neue Bedürfnisse anpassen. Zum politischen Handeln braucht es auch Mut, die Bereitschaft
neue Wege zu gehen und Dinge auszuprobieren.