Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2015
/ Ausgabe: 10-Protokoll_05.11.2015.pdf
- S.26
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GR Buchacher, Sie haben mich auf Ihrer
Seite, was die Wirtschaftslobby betrifft. Wir
sind viel eher eine Währungs- und Wettbewerbsunion als Wirtschafts- und Sozialunion. Aber nicht deshalb, weil wir Letzteres
nicht sein wollten. Gerade ist es uns als Europäisches Parlament gelungen, im Vertrag
von Lissabon, dem neuen Verfassungsvertrag der EU, zu verankern, dass nicht die
freie Wirtschaft alleine das Ziel ist. Vielmehr
wurde nun nicht der Markt, sondern die
sustainable economy - also die nachhaltige
soziale Marktwirtschaft - zum Ordnungsmodell der EU erklärt.
Inkludiert ist zudem der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung sowie die Vereinbarung, dass der Wettbewerb nicht das Ziel,
sondern ein Instrument ist. Wenn man einen
Verteilungsschlüssel macht, was geschehen
ist, dann wird er meiner Meinung nach nur
funktionieren, wenn wir auch soziale Grundstandards haben, wenn wir den gleichen
Zugang zum Arbeitsmarkt haben, wenn wir
die gleiche Dauer der Asylverfahren haben.
Wir haben im Moment zwar den Verteilungsschlüssel, aber alles, was als Ziel beschlossen worden ist, braucht ja Instrumente, damit es durch- und umsetzbar ist.
Wenn man aber keine europäische Kompetenz hat, dann benötigt man dafür einen
einstimmigen Beschluss der Mitgliedstaaten. Daher trete ich ja so vehement dafür
ein, dass jede europäische Frage nach der
Gemeinschaftsmethode behandelt wird. Ich
bin gegen die Einstimmigkeit, weil sie zur
Nationalisierung europäischer Themen führt
und zur Blockade. Die Mehrstimmigkeit
sorgt hingegen für die Beteiligung der Parlamente und für die Berücksichtigung der
Grundrechte-Charta.
Ich würde mir wünschen, auch von Österreich, dass der Bundesminister für Arbeit,
Soziales und Konsumentenschutz und die
Bundesregierung in der EU einen Antrag
stellen hinsichtlich sozialpolitischer Maßnahmen - um die Balance zwischen Wirtschaft, Wettbewerb und sozialer Kohäsion
herzustellen. Wir versuchen über den Binnenmarkt, über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen, über die
Möglichkeit von grenzüberschreitenden Tätigkeiten bzw. das Mitnehmen von Sozialleistungen zu agieren. Das ist ein großes
Projekt. Es hat aber nichts mit einer Lobby
zu tun, sondern mit der Kompetenzsituation.
GR-Sitzung 05.11.2015
Im EU-Parlament hätte eine Balance zwischen Wirtschaftskompetenz und Ökologie
auf jeden Fall eine klare Mehrheit.
Nun zu StR Gruber. Die EU verändert sich
natürlich. Denken Sie daran, und das sollte
man immer wieder erwähnen, dass die EU
als Friedensprojekt gegründet worden ist,
als Antwort auf die Erfahrungen von zwei
Weltkriegen. Dieser Gründungsauftrag ist
zu 100 % erfüllt. Es gab seither keine gewaltmäßigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedsstaaten der EU.
Dass die Gefahr aber nicht für immer gebannt ist, zeigt die Situation, die wir am Balkan, bei der Wende, in der Ukraine und
Russland hatten. Das merken wir auch jetzt,
wo wir mit den Flüchtlingsströmen konfrontiert werden. Dieser Friedenssicherungsaspekt bleibt das Hauptmotiv der EU.
Als ich im Jahr 1985 im Nationalrat das erste Mal den Beitritt Österreichs zur EU verlangt habe, gab es 12 Mitgliedsstaaten.
Damals war der Westen Österreichs europäischer gesinnt als der Osten. Auch hatten
wir im Hinblick auf den Lebensstandard ein
West-Ost-Gefälle, nicht zuletzt wegen des
Eisernen Vorhangs. Hat mich damals jemand gefragt, wann die Grenze des EUProjekts erreicht sein wird, dann habe ich
geantwortet, das sei dann der Fall, wenn
Österreich, Schweden, Finnland, Norwegen,
Spanien, die Schweiz und Malta beigetreten
sind. Dann wären wir komplett.
Allerdings gäbe es auf diese Weise nur
19 Mitgliedstaaten. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, mit dem Fall der Berliner
Mauer hat das EU-Projekt die Chance, zum
politischen Projekt der Überwindung der
gewaltsamen Teilung Europas zu werden.
Somit sind wir noch lange nicht fertig.
Ich glaube, wir müssen uns nun neu begründen. Eine Antwort des Kontinents auf
die Globalisierung geben. Das freut nicht
jede/n. Aber der Veränderungsdruck in Bezug auf Themen wie Arbeitsmarkt, Digitalisierung, Energie, Armut - dieser Druck wird
ja nicht kleiner, sondern größer. Es ist ja
nicht so, dass es Ausdruck einer guten Politik ist, den Status Quo zu halten und ihn gegen die Veränderung zu verteidigen. Gute
Politik macht man dann, wenn man sich
rechtzeitig auf das vorbereitet, was auf einen zukommt, um nicht immer nur reagieren
zu müssen. Im Regelfall bekommt man aber