Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2023
/ Ausgabe: 2023-02-23-GR-Protokoll.pdf
- S.57
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Wahrscheinlich viele ohne zu wissen, was
dort geschah.
(BDA) und die beiden ArchäologInnen
Dr.in Hausmair und Dr.in Pöll
Dort war zwischen den Jahren 1941 und
1945 der Lagerkomplex, der sich im Laufe
der NS-Herrschaft gewandelt hat: Vom sogenannten Arbeitserziehungslager für ausländische Arbeitskräfte zum Internierungslager für politisch Verfolgte, aber auch zum
sogenannten Transitlager für österreichische und ausländische JüdInnen.
Dank der Arbeit dieser Kommission wissen
wir heute vieles, das seit Jahrzehnten unbekannt war. Das Wichtigste davon, wir wissen von mindestens 112 Menschen, die im
Lager oder in Zusammenhang mit ihrer Lagerhaft zu Tode gebracht wurden oder zu
Tode kamen. Das ist die zentrale Erkenntnis
für das künftige Gedenken am neuen Gedenkort.
Dieser Grundsatzbeschluss, den eine hochkarätige Kommission - ich wollte eigentlich
die Namen nennen - unter der politischen
Leitung der Obfrau des Kulturausschusses
GRin Heisz und ihrer Stellvertreterin
GRin Ringler, BA erarbeitet hat, liegt heute
dem Gemeinderat vor. Ich bedanke mich
herzlich für diese Arbeit. Auch den Kommissionsmitgliedern mein großer Dank.
Ich hoffe, dass wir es wie bisher handhaben. In Sachen Erinnerungskultur hatten wir
eigentlich immer in allen Gremien Konsens.
Damit können wir dieses Projekt heute auf
den Weg bringen. (Beifall)
GRin Heisz: Wie bei StRin Mag.a Schwarzl
geht uns allen die Redezeit aus, daher
möchte ich in erster Linie meiner großen
Freude und Dankbarkeit Ausdruck verleihen, dass wir heute - wie ich vernehme alle gemeinsam beschließen werden, das
Gedenken an die Lager Reichenau grundlegend neu zu gestalten.
Warum muss das sein? Das bestehende
Denkmal, eine historische Leistung unserer
politischen Vorväter, entspricht nicht mehr
den Anforderungen einer zeitgemäßen Gedenkkultur. Die Ästhetik ist überholt, der
Standort ist für die Abhaltung von Veranstaltungen denkbar ungeeignet. Vor allem aber
ist die Situation beim Eingang zu unserem
Recyclinghof einfach kein würdiger Ort, um
der vielen Toten zu gedenken.
Neben GRin Ringler, BA und mir, bestand
die ExpertInnenkommission aus dem Tiroler
Landesarchivdirektor Dr. Haidacher, der
Leiterin der Gedenkstätte Dachau,
Dr.in Hammermann, dem Leiter des Innsbrucker Stadtarchivs DDr. Morscher, sowie den
ZeithistorikerInnen Mag.a Pitscheider,
Dr. Rupnow und Dr. Schreiber. Wertvolle
Arbeit geleistet haben außerdem
MMag.a Neumann vom Bundesdenkmalamt
GR-Sitzung 23.02.2023
Wir müssen diesen Menschen ihre Würde
zurückgeben, indem wir sie beim Namen
nennen. Der neue Gedenkort wird auf einer
städtischen Grünfläche entstehen und soll
dokumentarisch, historisch und ästhetisch
auf Höhe der Zeit ein wetterunabhängiger
Dokumentations-, Lern- und Erinnerungsort
werden.
Lassen Sie mich noch einen Gedanken formulieren. Was uns umtreibt, sich damit zu
beschäftigen, ist Folgendes:
Die zeitliche Distanz zu den historischen Ereignissen wächst, ZeitzeugInnen gibt es
bald keine mehr. Das Wissen um historische Gräueltaten ist spärlich, die Wachsamkeit gegenüber aktuellen Tendenzen von
Antisemitismus, Rassismus, Totalitarismus
ist, wenn ich es vorsichtig ausdrücke, unterentwickelt. Unsere europäischen Gesellschaften sehen sich zunehmend mit Migration aus Kulturen konfrontiert, für die die
Nazi-Zeit nicht das zentrale historische Ereignis ist.
Es sind neue Fragen, neue Herausforderungen, auf die wir als politische Generation
jetzt in der Verantwortung stehen, neue Antworten finden müssen. Deshalb machen wir
das und dafür möchte ich mich bei allen, die
da Herz, Hirn und Leidenschaft hineinstecken, bedanken. (Beifall)
GRin Ringler, BA: Ich fühle mich geehrt und
bin dankbar, dass ich als stellvertretende
Vorsitzende des Kulturausschusses in der
ExpertInnenkommission meinen Beitrag
leisten und meine Perspektive einbringen
konnte.
Ich wurde im Jahr 1997, also mehr als
50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in die Sicherheit und Sorglosigkeit
einer weltoffenen Stadt Innsbruck geboren,
als Teil eines gemeinsamen Europas mit offenen Grenzen und vor allem in eine Zeit