Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2015
/ Ausgabe: 03-Protokoll_19.03.2015_gsw.pdf
- S.45
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Richtigerweise sagen alle, dass - egal, was
wir hier verordnen - sich die Situation in Europa nicht wesentlich verändern wird.
Der Beschluss eines zeitlich und örtlich begrenzten Bettelverbotes in der Stadt Innsbruck wird aber meines Erachtens auch
kein Signal sein, das die rumänische oder
bulgarische Regierung, die österreichische
Bundesregierung oder die EU-Kommission
aufrüttelt und aufregt. Es ist kein Signal, wie
es von StR Pechlaner, StR Gruber und
GR Wallasch richtig angeführt worden ist,
das an der sozialen Schieflage in Europa
Wesentliches ändern wird. Treffen wird es
nur diejenigen, die bei uns auf der Straße
sitzen oder sich herumschleppen und betteln!
Nun komme ich zu dem, was für mich der
Kern der Diskussion bzw. der Kern meiner
Ablehnung eines solchen Verbotes ist. Der
Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in dem
Salzburger Urteil, das schon zitiert worden
ist, festgehalten, dass es einem Ortsbild
nahezu immanent ist, dort auf Fremdes zu
treffen. Fremdes ist manchmal auch störend, verängstigend oder belästigend. Nicht
alles, was stört oder verstört, ist aber ein
Missstand, der das örtliche Gemeinschaftsleben bedroht.
Um dem Ganzen noch eine humoristische
Note zu geben: Ich persönlich finde marschrhythmische Blasmusik extrem belästigend
und störend. Sie hat aber einfach Tradition
bei uns. Es ist auch ganz sicher kein Missstand, wenn hin und wieder in der MariaTheresien-Straße eine Blaskapelle einen
Marsch spielt - auch wenn es mir auf den
Geist geht.
Auch eine BettlerIn, die Menschen an öffentlichen Orten damit konfrontiert, dass sie
in Not ist, und damit vielleicht stört und verstört, ist kein Missstand im Sinne dessen,
was im Artikel 118 Absatz 6 BundesVerfassungsgesetz (B-VG) als Grundlage
für ortspolizeiliche Verordnungen erwähnt
wird.
Ich muss GR Grünbacher widersprechen.
Der Tiroler Landtag hat keine konkrete Verordnung beschlossen. Vielmehr hat man mit
dem Tiroler Landespolizeigesetz (T-LPolG)
den Gemeinden eine Ermächtigung erteilt,
solche Verordnungen beschließen zu können. Damit hat der Tiroler Landtag genau
das umgesetzt, was der VfGH in seinem
GR-Sitzung 19.03.2015
Salzburger Urteil geschrieben hat: Es kann
nämlich vorkommen (GRin Mag.a Heis hat
das schon zitiert), dass aufgrund der großen
Anzahl von Menschen, die dem, was grundsätzlich erlaubt ist, nachgehen (nämlich
dem stillen Betteln), die Benützung des öffentlichen Ortes be- oder verhindert wird.
Dann kann es sein, dass der Eingriff durch
ein Verbot zumutbar und verhältnismäßig
ist. Das ist aber im Einzelfall zu beurteilen.
Der Tiroler Landtag hat nicht beschlossen
(und es kann schon gar nicht davon die Rede sein, dass die Tiroler GRÜNEN das mitbeschlossen hätten!), dass in der Stadt
Innsbruck jetzt eine derartige Verordnung
gebraucht wird - bei den im Bericht angeführten Zahlen und bei einem Missstand,
der gar nicht vorliegt!
Was uns auf der Maria-Theresien-Straße
manchmal anschaut, anspringt, stört und
verstört, ist die Tatsache, dass es in unserem Europa auch bitterste Armut gibt. Das
ist aber zumutbar. So hat es der VfGH gesehen. Ich kann keine Zahl erkennen, die
die Benutzung des öffentlichen Ortes für alle anderen erlaubten Zwecke so beeinträchtigen würde, dass ein das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstand offenkundig wäre. Zustände, die mich ärgern, gibt es
genug. Mich ärgern die VerkäuferInnen der
Zeitschrift "MO" genauso wie die Greenpeace-KeilerInnen rund um die Annasäule
in der Sommersaison. Vom Gesichtspunkt
der Meinungsfreiheit aus gesehen, gehen
sie aber einfach einer erlaubten Sache
nach! Das ist nicht verboten. Zwar sind sie
organisiert, haben Hinterleute und wir sind
uns einig, dass das störend und lästig ist aber es gibt kein Gesetz in der Republik Österreich, auf dessen Grundlage wir das
Ganze verbieten könnten.
Das ist auch eines der Hauptargumente des
Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Alles das
ist eben erlaubt und muss von der BürgerIn
toleriert werden, ob es ihr gefällt oder nicht.
Gerade deshalb würde es der Meinungsfreiheit und dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, wenn man das Betteln besonders reglementieren würde - gegenüber anderen "Selbstverwirklichungen" (so oder so
ähnlich lautet ein Zitat aus einem der Texte
des VfGH), die im öffentlichen Raum zulässig sind und hingenommen werden müssen.
Mit einem Wort: Ich sehe ein Problem. Ich
sehe, dass wir auf allen Ebenen, auf denen