Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2008
/ Ausgabe: 2008_05-Mai.pdf
- S.33
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Theorie klingt es wahnsinnig gut, sozialromantisch zu sein, aber in der Praxis ist
es so, dass die Leute Hilfe brauchen.
Wenn es ein Geschäft gibt, in dem diese
Leute Lebensmittel, die in Ordnung sind,
zu einem günstigeren Preis erstehen
können, bedeutet das eine Hilfe; genauso
wie eine Mietzinsbeihilfe, Hilfe bedeutet.
Es geht diesen Leuten darum, dass sie mit
ihrem Geld irgendwie eine gewisse Menge
kaufen möchten. Das ist der Sinn des
Tiroler Sozialmarktes und deshalb haben
wir diesen ins Leben gerufen. Wir sind
nämlich nicht in der Lage, all diesen
Menschen, die Probleme haben, ad hoc
zu helfen, damit sie aus dieser Situation,
in der sie sich befinden, herauskommen.
Es gibt immer wieder Menschen, die auf
Hilfe Anspruch hätten, aber sagen, dass
es reicht, denn es soll auch für junge
Menschen etwas übrig bleiben. Diese
Leute leben in ihrer Art eine Bescheidenheit, die wir vielleicht nicht ganz nachvollziehen können, aber ganz bewusst das
nicht in Anspruch nehmen, was sie
bekommen könnten. Teilweise kämpft
man mit den alten Menschen, damit sie
einen Heizkostenzuschuss beantragen.
Auch das ist Realität. (Beifall)
StRin Mag.a Schwarzl: GRin Dr.in Waibel,
es gibt offensichtlich ganz unterschiedliche
Vorstellungen von Armut. Wir setzen uns
vielleicht mit dem Kapitel unserer Gesellschaft viel zu wenig auseinander. Natürlich
kennt jeder die junge Frau, die von GRin
Dr.in Waibel angesprochen wurde.
Das ist aber nur ein Teil von sichtbarer
Armut, über den GRin Dr.in Waibel spricht,
denn es gibt ganz unterschiedliche
Facetten von sichtbarer und unsichtbarer
Armut; Armut die Ansprüche stellt und
Armut, die aus Scham keine Ansprüche
stellt.
Die Mietzinsbeihilfe mit dem Tiroler
Sozialmarkt zu vergleichen, ist genau so,
als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Mietzinsbeihilfe belässt die
Wahlfreiheit und schreibt nicht vor, welche
Wohnung man nehmen muss. Sie gibt nur
vor, welches Einkommen man nicht
überschreiten darf, wie die Haushaltsgröße in der Relation zu den Quadratmetern
ist und wie bestimmte Mietbestandteile
anerkannt werden. Ob die Wohnung in der
GR-Sitzung 15.5.2008
Roseggerstraße oder in der Lohbachsiedlung ist, ist der Mietzinsbeihilfe egal.
Der Tiroler Sozialmarkt verdonnert die
Leute an einen Ort zu gehen und bestimmte Produkte zu kaufen. Das ist der
Unterschied. Fehlende Wahlfreiheit
bedingt immer ein Stück Stigmatisierung
und das möchten wir verhindern. Ich habe
immer ein komisches Gefühl, wenn wir
den Tiroler Sozialmarkt behandeln. Er ist
ein Teil des kurativen sozialen Systems
und es soll ihn auch geben, aber das Ziel
der Sozialpolitik aller öffentlichen Hände
muss sein, dass es keine Sozialmärkte
mehr braucht. Sie abzuschaffen, muss das
höchste Ziel der Sozialpolitik des Bundes,
Landes und der Gemeinden sein.
Sozialarbeit ist nicht dazu da a priori
armutsverhindernde Politik zu machen,
sondern sie kann bestenfalls im Einzelfall
Leuten dabei behilflich sein, sie zu
ermächtigen, an Hand der Strukturen der
öffentlichen Hand, den Schritt aus der
Armut zu machen. Zum überwiegenden
Teil ist Sozialarbeit die Hilfe des "Lebbarmachens" von Armut und Hilfestellung zu
leisten. SozialarbeiterInnen können
staatliche sozialpolitische Strukturen
niemals ersetzen. Ich denke, man sollte
darüber eine prinzipiellere Diskussion
führen.
GR Gruber: Ich möchte jetzt keine
Debatte über Sozialmärkte führen, da es
heute um einen ganz anderen Punkt geht.
Wirklich sozial ist der, der das Geld, das er
zur Verfügung stellen will und muss, auch
verdient. Wenn wir im Gemeinderat
Debatten über wirtschaftliche Projekte,
Entwicklungen im Tourismus, Infrastrukturprojekte usw., führen, wo man nachweisen kann, dass sie Wertschöpfung in
diesem Land bzw. in dieser Stadt finden,
dann würde ich mir von den Innsbrucker
Grünen den gleichen Enthusiasmus
wünschen, damit wir das Geld verdienen
können, sodass die Leute nicht in den
Sozialmarkt gehen müssen und wir auch
aufgrund der finanziellen Mittel die
Wahlfreiheit zur Verfügung stellen können.
(Beifall)
Die Armut, die GRin Marinell angesprochen
hat, gibt es auch globalisiert mit Hintergründen. Gestern wurde in der Sendung
"Weltjournal" erklärt, warum der Hunger in