Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2018
/ Ausgabe: 02-Protokoll-22.02.2018.pdf
- S.22
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ten die Geschicke der Stadt. Die Macht höherer Beamter wuchs in einem bis dahin
nicht gekannten Ausmaß. Das neue im
Jahr 1935 verabschiedete Stadtrecht stärkte
die Position des Bürgermeisters und reduzierte den Gemeinderat auf einen Beirat.
In die Jahre 1934 bis zum Anschluss an Hitler-Deutschland im März 1938 fielen wichtige Entscheidungen. Mit der Verbundlichung der Polizei fiel in der Stadtverwaltung
die größte Abteilung weg. Finanziell wirkte
sich das nicht so positiv aus wie erhofft,
denn nun musste die Stadt für die polizeilichen Aufgaben an den Bund zahlen. Um
Personal einzusparen, schaffte die Stadt
ganze Ämter ab, wie das Wohnungsamt,
dessen Aufgaben an private Vereine übergingen. Um die private Wirtschaft zu fördern, entließ Bürgermeister Fischer die
meisten Arbeiter der Bauhöfe oder des
Elektrizitäts-Werkes und stellte die gewerbliche Produktion der Stadtgärtnerei ein. Er erhöhte die Mieten in städtischen Wohnungen
und führte Schulgeld ein.
Grundsätzlich sind die Jahre 1934 bis zum
Anschluss gekennzeichnet von einer Privatisierung von Aufgaben, vom Personalabbau
und einem strikten Sparkurs.
4. NS-Regime
Den radikalsten und nachhaltigsten Umbau
erlebte die städtische Verwaltung in der NSZeit. Die Deutsche Gemeindeordnung ersetzte das ständestaatliche Stadtrecht. Das
Personal unterlag einer strikten politischen
Säuberung, eine Untersuchungskommission
bewertete das politische Verhalten, bestrafte, entließ oder pensionierte. Zugleich
belohnte das Regime nationalsozialistische
Parteigänger und stellte sie ein. Neue Stellen waren nur nach Rücksprache mit der
NSDAP zu besetzen.
Das NS-Regime wollte alle Bereiche des
Lebens durchdringen und gestalten, schaltete bisherige, vor allem private Akteure,
aus. Zuvor von Vereinen wahrgenommene
Aufgaben gingen an die Stadt über, wie die
Bücherei oder die Musikschule. Die Stadt
schuf für kulturelle Agenden eine neue Magistrats-Abteilung.
In einzelnen Aufgabenbereichen entwickelte
sich die für das Regime so typische Doppelstruktur: Eine Parteiorganisation und eine
GR-Sitzung 22.02.2018
Abteilung der Stadt waren für dieselbe Aufgabe zuständig. Das städtische Gesundheitsamt arbeitete eng mit der Hitlerjugend
(HJ) zusammen oder dem Reichsarbeitsdienst. Zusammen mit der Volkswohlfahrt
spürte es bei Schuluntersuchungen erbkranke Kinder auf. Für das Standesamt erstellte es Ehetauglichkeitszeugnisse und
beantragte Sterilisierungen. Vom aufgelösten Tuberkulosefürsorgeverein übernahm
es dessen Aufgaben, die Mutter- und Säuglingsfürsorge gliederte es ein. Das Fürsorgeamt übernahm die Aufgaben der ehrenamtlichen Armenpfleger.
Das Mehr an sozialer Fürsorge durch die öffentliche Hand diente dazu, jene auszusondern, die nicht in eine nationalsozialistische
Gesellschaft passten.
Neue, heute selbstverständliche Ämter, entstanden - wie etwa das Standesamt. Den
bis dahin privat organisierten Personennahverkehr kaufte die Stadt auf und gründete
die Innsbrucker Verkehrsbetriebe (I.V.B.)
Einer radikalen Umorganisation unterlagen
die städtischen Betriebe. Die Stadt unterstellte alle den neu geschaffenen Stadtwerken.
Ebenso radikal waren die Änderungen der
Gemeindefinanzen. Neue Steuern ersetzten
alte Abgaben.
Das Gemeindegebiet wuchs: Sechs umliegende Gemeinden verloren ihre Selbständigkeit. Damit wuchs die Bevölkerung und
mit dem durch die Ansiedlung von SüdtirolerInnen notwendigen Bauprogramm
auch die Zahl der Wohnhäuser.
Mit Kriegsbeginn kamen neue Ämter hinzu,
wie das Kartenamt, das Amt für Familienunterstützung, das Amt für Fliegergeschädigte,
das Umquartierungsamt oder das Kriegsschädenamt.
Der Personalstand wuchs an - ab 1940/41
ergänzt durch Kriegsgefangene und
ZwangsarbeiterInnen. Die Stadt unterhielt
selbst zwei große Gefangenenlager.
Hatten bis zur NS-Zeit öffentliche Stellen die
Übernahme von Aufgaben vermieden, vor
allem um den Folgekosten zu entgehen,
wuchsen die Aufgaben nun in einem enormen Ausmaß und betrafen bisher vernachlässigte Politikfelder, vor allem im Sozialbereich.