Gemeinderatsprotokolle seit 2002
Jahr: 2020
/ Ausgabe: 01-Protokoll-29-01-2020.pdf
- S.49
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Viele, die mich und unsere MitstreiterInnen
kennen, wissen, dass wir in diesem Bereich
sehr aktiv sind, in der israelitischen Kultusgemeinde oder im Friedensforum. Wir sind
auch mit anderen Friedensinitiativen in sehr
enger Kooperation. Wir hätten uns gewünscht, hier an diesem Antrag mitzuarbeiten und ihn mitzugestalten. (Unruhe im
Saal)
Wir durften es nicht. Uns wurde verwehrt,
dass wir mitarbeiten.
Unterm Strich, wenn ich den Antrag lese,
muss ich wirklich sagen, dass er für uns zu
schwammig formuliert ist. Deshalb haben
wir uns als Alternative Liste entschieden,
ohne auf den Inhalt einzugehen, uns bei
diesem Antrag zu enthalten. Uns geht es
darum, dass wir nicht die Möglichkeit hatten, mitzugestalten. Wir hätten gerne inhaltlich mitgeredet, aber konnten es nicht.
GRin Heisz: Mir wurde es etwas mulmig, als
bei diesem Thema im Gemeinderat fast so
etwas wie ein relativ gehässiger Schlagabtausch zustande gekommen wäre. Jetzt
scheint es sich wieder eingedämmt zu haben. GR Onay ist einfach ein Friedensstifter, wir wissen das. (Unruhe im Saal)
Bleiben wir ernst. Ich glaube, dass ein österreichischer Gemeinderat und speziell ein
Gemeinderat der Stadt Innsbruck eine Verantwortung wahrzunehmen hat. Die historischen Tatsachen kennen wir alle, sie wurden heute nochmals von GR Lukovic, BA
MA erwähnt.
Wir leben in Bezug auf Erinnerungskultur
momentan an einer Schwelle. Es gibt bald
keine Zeitzeugen bzw. Überlebende der
Konzentrationslager und aller grauenhaften
Taten, die begangen wurden, mehr. Es gibt
nur noch wenige, die erzählen, die erzählen
müssen, was damals war.
Es gibt aber Gedenkstätten aller Art und ich
finde, dass jedes österreichische Kind im
Laufe seiner Schulzeit einmal durch das Lager von Mauthausen geführt werden sollte.
Das müsste in die Lehrpläne aufgenommen
werden und dürfte nicht vom guten Willen
engagierter Lehrpersonen abhängig sein.
Wer einmal durch ein Konzentrationslager
gegangen ist und weiß, dass da die Seelen
von 100.000 Ermordeten spuken, der/die redet nicht mehr so, wie manche Leute heute
GR-Sitzung 29.01.2020
immer noch oder schon wieder reden und
denken!
Die eine Geschichte ist eben die, dass es
bald keine Zeitzeugen mehr gibt. Die andere ist die, da hat GR Kurz durchaus recht,
dass durch die neue Zusammensetzung der
Gesellschaften in Mitteleuropa, durch den
steigenden Anteil von Personen aus dem
arabisch-muslimischen Kulturkreis, sich
auch neue Blickwinkel auf die mitteleuropäische Geschichte ergeben.
Für Menschen aus dem arabischen Raum
ist der Holocaust nicht dieses große, einmalige Ereignis, das es für uns ist und sein
muss. Da spreche ich noch gar nicht vom
tatsächlich existierenden islamistischen Antisemitismus. Den gibt es natürlich. Wenn
man in den Iran schaut, ist Israel der Todfeind und hat keine Existenzberechtigung.
Das brauchen wir nicht schönzureden, das
ist so!
Aus dieser neuen Zusammensetzung unserer Gesellschaft ergibt sich für uns die Verpflichtung, neue Wege zu finden, damit umzugehen, zu vermitteln und Erinnerung
wach zu halten. Wir müssen speziell jungen
Menschen in unserer Gesellschaft klarmachen, worum es geht, was die Punkte sind,
auf die man wachsam schauen muss, die
man nicht vergessen darf, die man auch in
Zukunft im Blick haben muss.
Wenn man den Antrag, den wir in gemeinsamer koalitionärer Abstimmung auf Initiative von GR Lukovic, BA MA formuliert haben, durchliest, dann brauchen Sie,
GR Kurz, keine Sorge zu haben. Der Antrag
"haut" nicht ausschließlich auf die Rechten
hin, sondern es geht gegen alle extremistischen Tendenzen, alle Rassismen, alle Diskriminierungen. Da dürfen sich ruhig ExtremistInnen auch aus dem muslimischen Lager betroffen fühlen. Keine Sorge, der Antrag ist nicht einseitig gegen Rechtsextreme
gerichtet.
Ein letzter Punkt: Weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir neue Formen der Erinnerungsarbeit brauchen, ist in der Stadt
Innsbruck ein Projekt zum 05.05. - dem Datum der Befreiung des Konzentrationslagers
Mauthausen - in Entstehung begriffen. Wir
werden versuchen, in einem jährlich wiederkehrenden, aber sich jährlich verändernden
Projekt, Erinnerungsarbeit neu aufzusetzen
und zu initiieren.